Zeitschrift „Germanistik und Skandinavistik“
Sonderheft Bd. 2, 2025

WEGE UND UMWEGE ZUM WANDEL

Akten der Jubiläumskonferenz „100 Jahre Germanistik an der Universität Sofia“
(Sofia, 12.-14. Oktober 2023)

Band 2: Literaturwissenschaft und Translatologie

Die einzelnen Artikel lassen sich durch Klicken auf ihre Titel herunterladen..

Redakteure des Heftes: Maria Endreva, Svetlana Arnaudova, Reneta Kileva, Mikaela Petkova-Kessanlis, Radka Ivanova

Publikationsdatum: 11.04.2025

ISSN: 2815-2867

doi: https://doi.org/10.60055/GerSk.2025.izv.2

TEIL I: LITERATURWISSENSCHAFT

Einleitung zum Teil I

Svetlana Arnaudova Sofioter Universität „St. Kliment Ochridski“ (Bulgarien)

Einleitung zum Teil I „Literaturwissenschaft“

Mit dem Ende der europäischen Teilung haben auch Erinnerungsnarrative, die sich in West und Ost häufig in Abgrenzung voneinander etabliert hatten, ihre Überzeugungskraft eingebüßt. Zahlreiche Texte der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur beschreiben in der Rekonstruktion von Familiengeschichten ost-westliche Grenzpassagen und Verflechtungen. Viele reflektieren dabei grundsätzlich über Möglichkeiten und Grenzen, solche von Heterogenität, Brüchen und Leerstellen geprägten europäischen Geschichten zu erzählen. Vor dem Hintergrund dieser Konstellationen, die Europa als ‚Memoryland‘ prägen, werden die Romane Die Hauptstadt (R. Menasse) und Zeitzuflucht (G. Gospodinov) daraufhin gelesen, wie sie Prozesse und Funktionen des Erinnerns auf individueller und kollektiver Ebene reflektieren. Dabei werden bemerkenswerte Gemeinsamkeiten in der Problematisierung einer Renationalisierung des Erinnerns, den ambivalenten Aspekten von Demenz sowie der Ambivalenz zeichenhafter Repräsentation oder Aufführung des Vergangenen herausgestellt.

Schlüsselwörter: Erinnerungskultur, Erzählen, Europa, Gewaltgeschichte, Nachwendeliteratur, Nation, Nationalismus

Unruhige Gäste: Touristen in literarischen Werken. Eine Lebensstrategie und
-praxis im Wandel

Maja Razbojnikova-Frateva Sofioter Universität „St. Kliment Ochridski“ (Bulgarien)

doi: https://doi.org/10.60055/GerSk.2025.izv.2.50-86

Elias Canetti stellt in seiner Skizze „Der Blinde“ einen Menschen mit einer Kamera in der Hand dar, der mit geschlossenen Augen die Welt bereist und sich diese nur auf Fotos angucken möchte. Unschwer lässt sich an der Grundhaltung dieser Figur der Tourist erkennen. In Anbetracht der konstanten Merkmale des touristischen Reisens, wie es seit dem 19. Jahrhundert bis heutzutage als Lebensstrategie und -praxis zum Vorschein tritt, geht der Beitrag der Frage nach, ob Tourismus und Touristen (als eine charakteristische Sozialfigur) tatsächlich unberührt von der sich beschleunigenden gesellschaftlichen und technischen Entwicklung geblieben sind, wie das mehrere literarische Texte seit dem 19. Jahrhundert vermuten lassen. Als passendes Gebiet, auf dem Veränderungen beobachtet werden können, wird das Subjekt-Welt-Verhältnis herausgearbeitet. Auch in Canettis Skizze verwundert das besondere Weltverhältnis, versteckt hinter bekannten touristischen Praktiken. Hartmut Rosas Soziologie der Weltbeziehung mit ihrem zentralen Begriff der Resonanz ergibt den theoretischen Raster, vor dem zwei Romane – Christoph Ransmayrs „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ und Ilija Trojanows „Eistau“ analysiert werden. Die Resonanzsuche der Protagonisten mündet zwar in Katastrophe und Tod, verweist aber auf das Bedürfnis einer resonanten Weltbeziehung als Grundlage des guten und gelungenen Lebens. Als positiver Gegenentwurf, in welchem „Aufenthalte“ als Resonanzerfahrung in und mit der Welt möglich erscheinen, wird Heideggers gleichnamiger Text herangezogen.

Schlüsselwörter: Tourist, Tourismus, Weltverhältnis, Sozialfigur, Resonanz

Kriege bestehen nicht nur aus Kämpfen mit Waffen, sondern sie werden massiv durch einen Diskurs über Zeichen und Medien verstärkt. Damit wird auch die Funktion der Literatur berührt, soweit sie Kriege thematisiert. Der Roman „Internat“ (deutsch 2018) des ukrainischen Autors Serhij Zhadan, der 2014/15 im Donbass-Krieg spielt, wird vom Werk des deutschen Nachkriegsautors Wolfgang Borchert her erschlossen. In Zhadans Roman wird wie bei Borchert ein auf das Essentielle und Existenzielle hin konstruiertes Bild des jeweiligen Krieges geschaffen. Dabei geht es nicht um den konkreten historischen Ablauf. Bilder und Narrativ veranschaulichen seine Menschenfeindlichkeit. Sie zeigen, wie sich aus dem Zusammenspiel von Wahrheit und Lüge die Gewalt des Krieges entwickelt mit der Folge einer Zerstörung, die ins Totale reicht und zugleich von den Zivilisten, die im Vordergrund von Zhadans Romans stehen, als kaum durchschautes Schicksal erfahren wird. Mit dem Widerstand gegen die Angst, welchen der zunächst passive Lehrer Pascha beim Gang durch die „Hölle“ der Stadt zur Rettung seines Neffen entwickelt, und Momenten einer humanen Haltung auf beiden Seiten erweist sich „Internat“ als Anti-Kriegsroman. Der Kriegsverlauf kann allerdings durch dieses Verhalten nicht wirklich beeinflusst werden und die Bekämpfung der Invasion in ein selbständiges Land bleibt legitim.

Schlüsselwörter: Anti-Kriegsroman, Kriegsbilder und Narrative, Fingieren des Krieges in der Literatur, Zhadans Roman „Internat“, von Borchert her erschlossen, Invasion des Donbass 2014/15 im ukrainischen Roman

Im vorliegenden Beitrag wird der Versuch unternommen, die Verdienste herauszuarbeiten, die Horst Bienek und Oskar Pastior im Kontext der deutschen und internationalen Gulag-Literatur zugeschrieben werden können. Ihre Biografien weisen einige Gemeinsamkeiten auf: Beide waren aufgrund ihrer Homosexualität in der DDR bzw. in Rumänien gesellschaftlich stigmatisiert und wurden im Alter von etwa 20 Jahren ins stalinistische Arbeitslager deportiert und auf diese Weise um ihre Jugend betrogen. Allerdings wollten sie diese biografischen Brüche in ihren literarischen Arbeiten nicht explizit erwähnen. Durch die genaue Analyse von Pastiors Gedichtband (Speckturm, 2009) und Bieneks Roman (Die Zelle, 1968) ist auszumachen, wie die beiden Autoren den tiefgreifenden Brüchen in der persönlichen und kollektiven Geschichtserfahrung nicht mit konventionellen erzählerischen Mitteln, sondern avantgardistisch begegneten.

Schlüsselwörter: Gulag, Lager-Literatur, Avantgarde, Autobiographie, Homosexualität

Der Artikel betrachtet die Romane Winternähe (2015) und Zwischen Du und Ich (2021) der deutsch-jüdischen Autorin Mirna Funk aus zeithistorischer Sicht und geht der Frage nach, wie die Autorin hierin auf die Gesellschaft blickt und sich literarisch mit verschiedenen Formen struktureller Gewalt, inneren Verwundungen und Traumata auseinandersetzt. Während Winternähe den Fokus vor allem auf äußere Er- eignisse legt, zeitgenössischen Antisemitismus offen anspricht und versucht, einen Einblick in die komplexe israelische Lebensrealität zu geben, konzentriert sich Zwischen Du und Ich stärker auf innere Vorgänge und lenkt den Blick speziell auf Misshandlung von Frauen. Beide Romane verbindet, dass sich die Aussicht auf gesellschaftlichen Wandel angesichts der zahlreichen geschilderten Manifestationen von Gewalt stark relativiert.

Schlüsselwörter: Dritte Generation, Antisemitismus, transgenerationelle Traumata, strukturelle Gewalt

Der Beitrag umreißt den sog. Historikerstreit 2.0 in Deutschland und die Debatte um die Rettung bzw. Deportation der bulgarischen Juden anhand des Begriffs „Provinz“ und seiner Ableitungen, um Umschichtungen in beiden verfestigten Erinnerungsmodellen aufzuzeigen. Bei allen kontextspezifischen Unterschieden wohnt sowohl der deutschen, als auch der bulgarischen Holocaust-Kontroverse eine enorme politische Brisanz inne. Beide Debatten widerspiegeln historische Faktizität und Komplexität und tragen zugleich universalisierenden erinnerungspolitischen Bemühungen Rechnung. Damit sind sie für das Spannungsverhältnis zwischen Globalisierung und Partikularität der kollektiven Erinnerung exemplarisch.

Schlüsselwörter: Holocaust-Debatte, Historikerstreit 2.0, bulgarische Juden, Provinzialität, Erinnerungskultur

Katja Petrowskajas Sammlung von kurzen Texten zu ausgewählten Fotografien wurde als Buch 2022 publiziert; zuvor sind diese Texte einige Jahre lang alle drei Wochen als Kolumnen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen. Schon in ihrem ersten Roman Vielleicht Esther (2014) spielten Fotografien eine gewisse Rolle, und auch in Das Foto schaute mich an geht es um die suchende Reflexion eines Zusammenhangs zwischen Gegenwart und Vergangenheit anhand von Fotografien, um die konzentrierte Befragung von visuellen Details im Versuch, sie zum Sprechen zu bringen – alles vor dem Horizont der Möglichkeiten und Aporien historischen Erinnerns im Zeichen der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Anhand einiger der Kolumnen analysiert der Aufsatz die intrikaten Zeitverhältnisse, die die Frage einer Vergegenwärtigung des Vergangenen betreffen und die im Zusammenspiel von Literatur und Fotografie in besonderer Weise zustande kommen. Dafür spielen die drei Perspektiven‚ Vermächtnis und Erbe‘, ‚Geister und Nachleben‘ sowie ‚Chronoferenz‘ eine entscheidende Rolle.

Schlüsselwörter: Fotografie, Erinnerung, Intermedialität, Zeitdarstellung, Gegenwartsliteratur

Der Beitrag untersucht am Beispiel von Dorothee Elmigers Aus der Zuckerfabrik (2020), wie sich die Raum- und Zeitfülle globaler Weltzusammenhänge in literarische Form bringen lässt. Auch wenn der experimentelle Roman die Komplexität der Welt nicht in die Ordnung linearer Narrative überführt und eher darauf zielt, deren Netzwerkcharakter in aller Unübersichtlichkeit auszustellen, folgt das Buch literarästhetischen Prinzipien der Bedeutungsproduktion, die sich zu den Globalisierungserzählungen des poetischen Realismus in Bezug setzen lassen. Dafür nimmt der Beitrag vier unterschiedliche zeitliche Konfigurationen und literarische Formprinzipien in den Blick, die für den Text von Bedeutung sind: 1) Die Inszenierung von Gleichzeitigkeit als Erzählproblem und -potential. 2) Zucker als Hyperlink, 3) Augenblick und 4) Wiederholung.

Schlüsselwörter: Zeit, Realismus, Globalisierung, Gegenwartsliteratur

Familienkonstellationen sind aufgrund der Migration fundamentalen Veränderungen unterzogen und wirken sich vielfältig auf Generationsbeziehungen aus. Aus soziologischer Sicht gilt Migration als Familienprojekt, zumal der Akt der Migration hauptsächlich durch das aktive Involvieren mehrerer Familienmitglieder zustande gebracht wird. Literatur inszeniert wiederum häufiger solche Familiennetzwerke, deswegen verwundert es nicht, dass gerade Migrationsliteratur über das Paradigma der Familie den sozialen Wandel innerhalb der Generationen konfiguriert. Im folgenden Beitrag wird am Beispiel von Dinçer Güçyeters Roman Unser Deutschlandmärchen gefragt, wie die Reflexion über Dynamiken von Akkulturationsprozessen der zweiten Generation und sich wandelnden Familienkonstellationen zum interkulturellen Wandel der Familienkonstellationen führt.

Schlüsselwörter: Güçyeter, Migrationsliteratur, Familie, Interkulturalität

Der Artikel analysiert den Gedichtband „Bevor sie das Blut wegwaschen“ des zeitgenössischen bulgarischen Dichters Yordan Efftimov. Es wird eine Lesart angeboten, die von Interesse nicht nur für die Literaturkritik, sondern auch für die literaturtheoretische Forschung sein könnte: es geht um die Frage, inwieweit und wie literarische Kunstwerke eine emotionale Reaktion beim Leser hervorrufen können bzw. ob und wie der Letztere in der Lage ist, anhand der Lektüre von Literatur etwas über die Welt und über sich zu lernen. Somit wird eine Antwort auf die Frage angeboten, wie die Rolle der literarischen Kommunikation im Kontext des Ukraine-Kriegs verstanden (und vielleicht sogar verteidigt) werden könnte.

Schlüsselwörter: Ukraine-Krieg, literarische Kommunikation, literarischer Kognitivismus, Emotionen

Dimensionen des Politischen bei Marlene Streeruwitz

Maria Endreva Sofioter Universität „St. Kliment Ochridski“ (Bulgarien)

doi: https://doi.org/10.60055/GerSk.2025.izv.2.215-232

Marlene Streeruwitz‘ ästhetisches Konzept fasst die Literatur als eine politische Geste auf, die die alttradierten Machtmechanismen zur Unterdrückung bestimmter Gesellschaftsgruppen enthüllt und zur Erkenntnis führt. Das politische Wesen der Literatur lässt die Frage nach den Konturen des Politischen bei Streeruwitz aufkommen. Im Beitrag werden aufgrund von ihrem essayistischen Werk verschiedene Aspekte dieses Begriffs aufgeführt, so dass das Konzept über das politische Wesen der Literatur veranschaulicht wird. Dies geschieht in drei Stufen. Nach der Kontextualisierung des Politischen bei Streeruwitz werden als zweiter Schritt ihre wichtigsten ästhetischen Ansichten aufgeführt, weil gerade die Ästhetik die Brücke zum Politischen schlägt. Im dritten Teil des Beitrags werden drei Topoi des Politischen – die Literatur, der Krieg und der Körper – herausgearbeitet.

Schlüsselwörter: Marlene Streeruwitz, Politik, Widerstand, Literaturästhetik, Feminismus

Haben die Musen im Krieg zu schweigen? Brochs und Bubers Wege zur Humanität

Krasimira Hristova Universität für National- und Weltwirtschaft (Bulgarien)

doi: https://doi.org/10.60055/GerSk.2025.izv.2.233-241

Im Artikel wird auf Parallelen von Hermann Brochs Roman „Die Schlafwandler“ und Martin Bubers Schrift „Ich und Du“ hingewiesen, die einen Einblick in die Gründe für die gebrochene Einheit von Mensch und Gesellschaft gewähren. Der Zerfall der Werte, der Krieg, der Tod in Brochs Roman „Der Schlafwandler“ sind Manifestationen eines tiefgreifenden transformativen Begegnungsereignisses, das die logische Gemeinschaft des Menschen mit Gott wiederherzustellen hat. Dem „schlaflosen“ Künstler kommt die Aufgabe zu, im Ästhetischen nach Wegen zur Aufhebung des Todes zu suchen, die den respektvollen Dialog mit einem ganzheitlichen menschlichen Wesen ermöglichen.

Schlüsselwörter: Wertezerfall, Krieg, Künstler, Gott, Einheit

Einsamkeit und Alleinsein. Ein befreiender Einstellungswandel

Violeta Vicheva Bulgarische Akademie der Wissenschaften (Bulgarien)

doi: https://doi.org/10.60055/GerSk.2025.izv.2.242-250

Der vorliegende Artikel befasst sich mit der literarischen Repräsentation der Einsamkeit im Roman „Traurige Freiheit“ von Friederike Gössweiner. Die Analyse erfolgt im Kontrast zu dem Krankheits- und Krisendiskurs, in dem Einsamkeit und dauerndes Alleinsein heute immer wieder eingebettet werden. Die angebotene Interpretation des Romans eröffnet eine neue Perspektive zum Thema, die die kritische Rezeption des Werkes im Feuilleton bisher unreflektiert gelassen hat und die auf eine Entstigmatisierung von Alleinsein durch das soziale Transformationspotenzial der Literatur ausgerichtet ist.

Schlüsselwörter: Einsamkeit, Alleinsein, Friederike Gössweiner, gesellschaftliche Einstellungen

Zeit-Zeichen. Narrative sozialer Experimente

Nikolina Burneva Hll. Kyril-und-Method-Universität zu Veliko Tarnovo, Bulgarien

doi: https://doi.org/10.60055/GerSk.2025.izv.2.251-266

Zeit ist eine grundsätzliche Kategorie von Prosatexten, die den realen Bezug des Sujets mit der fiktiven Welt verbinden. Die Mittel, durch die sich Zeit im Text präsentiert, sind oft entscheidend für die ästhetische Qualität des Werks und für die weltanschauliche Botschaft des Erzählten. Philosophische Aussage und stilistische Momente vereinen sich zum spezifischen belletristischen Wirkungspotential, was in postmodernen Erzählungen der Gegenwart – meistens indirekt und in auffällig originellen Metonymien vermittelt – eine opake strukturelle Herausforderung für die Interpreten ist. An deutsch schreibenden Autoren bulgarischer Herkunft wird im Folgenden beobachtet, wie diese indirekten Wege zur unauffälligen und dennoch wesentlichen Vermittlung von Zeit-Zeichen erfolgt.

Schlüsselwörter: Ewtimova, Dinev, Trojanow, Zeit, Metonymie

TEIL II: TRANSLATOLOGIE

Einleitung zum Teil II

Reneta Kileva-Stamenova Sofioter Universität „St. Kliment Ochridski“ (Bulgarien)

Einleitung zum Teil II. Translatologie

Translation wird weitgehend auch von Nicht-Profis praktiziert und soll daher als allgegenwärtige Praxis betrachtet werden. Diese Tatsache wird allmählich von der Translationswissenschaft (TW) systematisch berücksichtigt und stellt die Disziplin vor neue Herausforderungen. Mittels der Polysystemtheorie wird hier gezeigt, dass die TW zurzeit eine periphere Position im System der wissenschaftlichen Disziplinen einnimmt, teilweise auch deswegen, weil sie auf andere Disziplinen angewiesen ist (Interdisziplinarität). Doch wenn man die Translation als eine allgegenwärtige soziale Praxis betrachtet, so ergibt sich ein Potenzial für die TW, nämlich Wege zu berücksichtigen, wie sie andere Disziplinen beeinflussen kann, anstatt lediglich von ihnen geprägt zu sein. In diesem Beitrag wird davon ausgegangen, dass die Translationsdidaktik auch darauf abzielen kann, a) die für die Translation erforderliche komparative Kompetenz auch anderen Berufen zu vermitteln, und b) diese Kompetenz allgemein als eine besondere Form der Literalität anzusehen, um zukünftig eine zentralere Position für die gesamte TW zu sichern.

Schlüsselwörter: Translationsdidaktik, Polysystemtheorie, soziale Praxis, Literalität

Beim translationsrelevanten Lernen und Lehren von Fremdsprachen im Übersetzer-/ Dolmetscherstudium wird der Lernerzentriertheit ein besonderer Stellenwert beigemessen. Zwei bedeutende Komponenten der Lernerzentriertheit sind die Lernerautonomie und die dafür unerlässliche Metakognition. Vorliegender Artikel setzt sich zum Ziel aufzuzeigen, inwiefern die intralinguale Übersetzung und das Translanguaging hilfreiche Mechanismen zur Förderung der Metakognition von angehenden TranslatorInnen darstellen, auf die dabei möglichen Anwendungsbereiche hinzuweisen und die dadurch geförderten fremdsprachlichen und translatorischen Fertigkeiten zu betonen. Darüber hinaus soll die Bedeutung der Förderung von Metakognition in der translationsrelevanten Fremdsprachenlehre verdeutlicht werden.

Schlüsselwörter: translationsrelevante Fremdsprachenlehre, Metakognition, intralinguale Übersetzung, Translanguaging, Fremdsprachenkompetenz

Die Rechtsübersetzung zählt zu den anspruchsvollsten Arten der Fachübersetzung und nimmt somit angesichts der sprachlichen Beschaffung juristischer Texte, ihrer Verankerung in einem bestimmten Rechtssystem und der Auslegung der Rechtstermini auch in der Hochschulausbildung angehender Übersetzer*innen und Dolmetscher*innen eine Sonderstellung ein. In dem vorliegenden Beitrag wird die inhaltliche Ausrichtung des Wahlpflichtfachs Rechtsübersetzung im translatorischen Master-Studiengang Deutsche Sprache und Kultur an der Philosoph Konstantin-Universität Nitra erörtert. In Anlehnung an das Kompetenzmodell von Scarpa und Orlando (2017), das speziell für die Übersetzungskompetenz im juristischen Bereich entwickelt wurde, wird dargelegt, welche Subkompetenzen für die Anfertigung juristischer Übersetzungen unabdingbar sind und in welchem Rahmen diese im Studium zu vermitteln sind. Sowohl die Inhalte der auf die Rechtsübersetzung ausgerichteten Lehrveranstaltungen als auch die Kompetenzen sollten dabei stets an die realen und aktuellen Anforderungen der Berufspraxis angepasst werden. Darüber hinaus wird in dem vorliegenden Beitrag anhand einer Umfrage kurz skizziert, welche Anforderungen die Auftraggeber*innen (Gerichte, Staatsanwaltschaften, Polizei, Anwaltskanzleien) an die Ausbildung von Rechtsübersetzer*innen legen und welche Konsequenzen sich daraus für eine praxisnahe Hochschullehre ergeben.

Schlüsselwörter: Rechtsübersetzen, translatorische Ausbildung, Kompetenzen, Hochschulcurricula, Berufspraxis, EMT

Die Sprache des Dritten Reiches, wie sie in Victor Klemperers LTI. Lingua Tertii Imperii: Notizbuch eines Philologen dargestellt wurde, wird anhand von drei grundlegenden Bezeichnungen analysiert, die für die nationalsozialistische Ideologie und deren soziale Praxis prägend waren: Reich, Gefolgschaft und Gleichschaltung. Für die Übersetzung stellen sie insofern ein Problem dar, da sie stark ideologisch bedingt und fest an der deutschen Sprache gebunden waren, weshalb in den meisten Sprachen für sie keine Entsprechungen vorlagen. Diese stark kulturspezifisch geprägten Begriffe wurden üblicherweise entlehnt oder lehnübersetzt. In den Fällen, wo man zu Analogiebildungen griff, sind interessante geschichtliche oder ideologische Übereinstimmungen zu beobachten. Der translatologischen Analyse liegen die Übersetzungen ins Bulgarische, Russische und Englische zugrunde.

Schlüsselwörter: Victor Klemperer, Sprache des Dritten Reiches, Übersetzung, Kulturspezifika

In Kafkas Werken ist das Nonverbale, insbesondere die Körpersprache, ein subtiles Ausdrucksmittel sowohl für den emotionalen Zustand der Figuren als auch für die Vermittlung von Motiven wie Macht, Scham, Neigung oder Abneigung und anderen Beziehungen zwischen den Protagonisten, so dass eine gewisse Sensibilität erforderlich ist, um all diese Aspekte zu erfassen. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Rolle von Gestik und Mimik bei Franz Kafka und den damit verbundenen Schwierigkeiten bei der Übersetzung ins Bulgarische. Die große Herausforderung für die Übersetzer ergibt sich aus der Tatsache, dass Kafka keine konventionellen Gesten verwendet. Das äußere Verhalten der Figuren ist ebenso rätselhaft, verschlüsselt und kafkaesk wie seine Texte überhaupt.

Schlüsselwörter: Franz Kafka, Körpersprache, Gestik, Mimik, bulgarische Übersetzer

Der Beitrag befasst sich aus literatur- und übersetzungssoziologischer Perspektive mit der Präsenz bulgarischer Literatur im deutschsprachigen literarischen Feld im Zeitraum 2010-2023. Nach einem kurzen historischen Rückblick auf die Übersetzung bulgarischer Literatur ins Deutsche und anhand von Daten aus einschlägigen Quellen zum Umfang der im Untersuchungszeitraum ins Deutsche übersetzten bulgarischen Werke werden die Hauptakteure der Vermittlung bulgarischer Literatur auf dem deutschsprachigen Buchmarkt (Verlage und Übersetzer:innen) hinsichtlich ihrer Rolle im Vermittlungsprozess analysiert. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, inwieweit Literatur- und Übersetzungskritik sowie andere Formen der Übersetzungsrezeption zur Sichtbarkeit bulgarischer Literatur im deutschsprachigen Raum beitragen.

Schlüsselwörter: bulgarische Literatur in deutscher Übersetzung (2010-2023), translatorische Akteure, Übersetzungsrezeption